Eine kritische Analyse der Schwächen und Herausforderungen
Der Bevölkerungsschutz in Deutschland ist eine der zentralen Aufgaben des Staates, um die Bevölkerung vor den Folgen von Katastrophen, Krisen und Großschadenslagen zu schützen. Doch eine detaillierte Betrachtung zeigt, dass das System erhebliche Schwächen aufweist – von der kommunalen Ebene bis hin zu den kritischen Infrastrukturen (KRITIS). Die Herausforderungen reichen von mangelnder Schulung und Vorbereitung über fehlende Vorsorge bis hin zu einer unzureichenden Koordination zwischen den Akteuren. Besonders alarmierend ist die Abhängigkeit aller kritischen Infrastrukturen von der Stromversorgung, die als Fundament der modernen Gesellschaft gilt. Ein großflächiger Blackout würde das gesamte System innerhalb kürzester Zeit zum Erliegen bringen.
Mangelnde Schulung und Vorbereitung in den Kommunen
Die Verantwortung für den Bevölkerungsschutz liegt in erster Linie bei den Kommunen. Doch viele Verantwortliche auf dieser Ebene sind in der Regel nicht geschult, um im Ernstfall angemessen reagieren zu können. Es gibt keine flächendeckenden Schulungsprogramme, die sicherstellen, dass Bürgermeister, Landräte oder andere Entscheidungsträger im Krisenmanagement kompetent sind und es gibt auch keine Verpflichtung, sich hierin ausbilden zu lassen.
Ein weiteres Problem ist, dass es in den meisten Kommunen keine ständigen Krisenstäbe gibt. Diese müssten im Ernstfall erst eingerichtet und organisiert werden, was wertvolle Zeit kostet. Die mangelnde Vorbereitung zeigt sich auch in der fehlenden Infrastruktur: Notunterkünfte, Notstromaggregate oder Vorräte an Lebensmitteln und Wasser sind vielerorts gar nicht oder nicht ausreichend vorhanden. Finanzielle Engpässe in den Kommunen verschärfen die Situation zusätzlich, da oft keine Mittel für den Aufbau von Krisenmanagementstrukturen bereitgestellt werden.
Fehlende Vorsorge für Großschadenslagen
Deutschland hat in den letzten Jahren mehrfach erlebt, wie schnell Krisen die Belastungsgrenzen des Systems erreichen können – sei es die Corona-Pandemie, die Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 oder die Energiekrise infolge des Ukraine-Kriegs. Diese Ereignisse haben deutlich gemacht, dass es keine ausreichende Vorsorge für Großschadenslagen gibt, die mehrere Bundesländer oder gar das gesamte Land betreffen könnten.
Es fehlt an zentralen Lagerbeständen für lebenswichtige Güter wie Lebensmittel, Wasser, Medikamente oder Treibstoff. Auch die Infrastruktur für eine großflächige Evakuierung oder Versorgung der Bevölkerung ist nicht vorhanden. Notfallpläne beruhen oft auf unrealistischen Annahmen (72h) und berücksichtigen nicht die tatsächliche Komplexität einer Großschadenslage und die Kaskadeneffekte. Besonders problematisch ist die Abhängigkeit von privater Infrastruktur: Viele kritische Dienstleistungen wie Energieversorgung, Wasserversorgung oder Logistik werden von privaten Unternehmen betrieben, die nicht verpflichtet sind, ihre Systeme im Sinne des Bevölkerungsschutzes abzusichern.
Die Rolle der Bundeswehr: Begrenzte Kapazitäten
Die Bundeswehr wird oft als letzte Instanz gesehen, die im Katastrophenfall helfen kann. Doch auch hier zeigt sich, dass die Kapazitäten begrenzt sind. Seit der Aussetzung der Wehrpflicht und der Umstrukturierung hin zu einer Berufsarmee hat die Bundeswehr massiv Personal abgebaut. Gleichzeitig wurden ihre Ressourcen und Ausrüstungen reduziert, was ihre Einsatzfähigkeit erheblich einschränkt.
Im Falle einer Großschadenslage könnte die Bundeswehr zwar punktuell unterstützen, etwa durch den Einsatz von Transportkapazitäten oder technischer Ausrüstung. Doch sie ist weder personell noch organisatorisch darauf ausgelegt, eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Zudem ist die Bundeswehr durch Auslandseinsätze und chronische Unterfinanzierung stark belastet, was ihre Verfügbarkeit weiter einschränkt.
KRITIS: Die Achillesferse des Bevölkerungsschutzes
Die sogenannten kritischen Infrastrukturen (KRITIS) – also Einrichtungen und Organisationen, die für das Funktionieren der Gesellschaft essenziell sind – spielen eine zentrale Rolle im Bevölkerungsschutz. Dazu zählen die Stromversorgung, Wasserversorgung, Abwassersysteme, Banken, Versicherungen, die Lebensmittel- und Logistikketten sowie viele weitere Bereiche. Doch auch diese Strukturen sind anfällig, und ihre Funktionsfähigkeit ist im Krisenfall keineswegs garantiert.
KRITIS als menschliches System
Ein oft übersehener Aspekt ist, dass KRITIS-Strukturen von Menschen betrieben werden. Diese Menschen sind im Krisenfall jedoch selbst von den Auswirkungen betroffen. Sie haben Familien, die ebenfalls ohne Strom, Wasser oder Lebensmittel auskommen müssen. Es ist daher fraglich, ob diese Mitarbeiter weiterhin in der Lage oder bereit wären, ihre beruflichen Aufgaben zu erfüllen, wenn sie gleichzeitig um die Sicherheit ihrer Angehörigen besorgt sind. Ohne ausreichend Personal, das bereit und in der Lage ist, unter extremen Bedingungen zu arbeiten, ist es fraglich, welche dieser Strukturen überhaupt aufrechterhalten werden könnten.
Die besondere Bedeutung der Stromversorgung
Innerhalb der KRITIS kommt der Stromversorgung eine herausragende Bedeutung zu, da sie die Grundlage für alle anderen kritischen Infrastrukturen bildet. Ohne Strom können keine anderen KRITIS-Bereiche langfristig funktionieren:
- Wasserversorgung und Abwasserentsorgung: Pumpstationen und Kläranlagen sind auf Strom angewiesen. Ohne Energieversorgung kommt die Wasser- und Abwasserinfrastruktur schnell zum Erliegen.
- Lebensmittelversorgung und -produktion: Supermärkte, Lagerhäuser und Logistikketten benötigen Strom für Kühlung, Kassen, Bestellsysteme und Transporte. Auch die Nahrungsmittelerzeugung ist ohne Strom nicht möglich.
- Banken und Versicherungen: Finanzströme und Transaktionen sind direkt an funktionierende IT-Systeme gebunden, die Strom benötigen. Ohne funktionierende Banken ist weder der Zahlungsverkehr noch der Zugang zu Bargeld möglich.
- Kommunikationsnetze: Mobilfunk- und Internetanbieter benötigen Strom für ihre Netze und Server. Ohne funktionierende Kommunikation bricht die Koordination von Hilfsmaßnahmen zusammen.
- Gesundheitsversorgung: Krankenhäuser haben zwar Notstromaggregate, doch diese sind nur für einen begrenzten Zeitraum ausgelegt. Ohne Strom können weder medizinische Geräte betrieben noch lebenswichtige Medikamente wie Insulin gekühlt werden.
Die Stromversorgung ist somit das Fundament, auf dem alle anderen kritischen Infrastrukturen aufbauen. Fällt der Strom aus, folgen sehr schnell Dominoeffekte, die auch die anderen KRITIS-Bereiche zum Erliegen bringen. Ohne Strom gibt es keine funktionierende Gesellschaft.
Das Szenario eines Blackouts: Die Grenzen des Staates
Die TAB-Studie von 2011 des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag untersuchte die Folgen eines großflächigen und länger andauernden Stromausfalls (Blackout). Die Ergebnisse sind alarmierend: Der deutsche Staat wäre in einem solchen Szenario weder in der Lage, die Bevölkerung ausreichend zu versorgen noch sie effektiv zu schützen.
Die Folgen eines Blackouts im Überblick:
- Zusammenbruch der Wasserversorgung: Ohne Strom könnten keine Pumpen mehr betrieben werden. Die Wasserversorgung würde innerhalb weniger Stunden zusammenbrechen.
- Ausfall der Lebensmittelversorgung: Supermärkte wären nach wenigen Stunden leer, und ohne funktionierende Logistik käme auch keine Nachschubversorgung zustande.
- Kollaps der Gesundheitsversorgung: Krankenhäuser könnten nur für kurze Zeit auf Notstrom zurückgreifen. Die Versorgung von Patienten würde massiv eingeschränkt.
- Verlust der öffentlichen Ordnung: Ohne funktionierende Kommunikationssysteme und ohne ausreichende Ressourcen könnten Polizei und andere Sicherheitskräfte die öffentliche Ordnung nicht mehr aufrechterhalten.
- Panik und soziale Unruhen: Die Bevölkerung würde nach wenigen Tagen in Panik geraten, und es käme zu Plünderungen und Gewalt.
Die TAB-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der Staat auf ein solches Szenario nicht vorbereitet ist und die Folgen eines großflächigen Blackouts nicht beherrschen könnte.
Fazit: Ein fragiles System mit dringendem Reformbedarf
Der Zustand des deutschen Bevölkerungsschutzes ist alarmierend. Die Abhängigkeit von KRITIS-Strukturen, die ihrerseits von Menschen betrieben werden und ohne Strom nicht funktionieren, zeigt, wie fragil das gesamte System ist. Besonders kritisch ist die Tatsache, dass der Stromversorgung eine zentrale Rolle zukommt, ohne die keine andere kritische Infrastruktur funktionsfähig bleibt.
Ein großflächiger Blackout wäre eine der größten Herausforderungen, die Deutschland jemals erlebt hat. Doch der Staat ist weder organisatorisch noch strukturell darauf vorbereitet, eine solche Krise zu bewältigen. Es fehlt an Schulung, Planung, Ressourcen und einer realistischen Einschätzung der möglichen Szenarien.
Was bleibt, ist die dringende Notwendigkeit, den Bevölkerungsschutz in Deutschland grundlegend zu reformieren, die Bedeutung der Stromversorgung als zentralen Faktor anzuerkennen und die Bevölkerung besser auf eigene Vorsorge vorzubereiten.
Denn in einer so komplexen Welt ist eines klar: Alles ist möglich – und darauf muss man vorbereitet sein.